Donnerstag, 25. Juni 2015

Jerry Cotton in Weiß - Gedanken über Arztromane im Heftchenformat

 Eine wenig erforschte Domäne der Trivialliteratur sind die Arztromane, welche offenkundig nach wie vor gelesen werden, da es sie noch gibt.
Die Frage einer Genreeinteilung im Bereich der gebundenen Trivialliteratur stellt sich hier nicht. Für eine Kommentierung von Romanen wie "Der Arzt von Stalingrad" von Bestsellerautor Heinz G. Konsalik ist unerheblich, ob es sich um einen Arzt-, Kriegs- oder Historienroman handelt. Es sei denn, der Autor hätte eine bestimmte Einordnung ausdrücklich gewünscht und diese stünde mit Inhalt und Intention in Zusammenhang. Aus dem Titel allein kann man dergleichen aber nicht ableiten. 
Das Thema ist der Heftroman. Dort gibt es eine klar abgrenzbare Sparte "Arztroman". Oder vielleicht auch nicht, wie das Beispiel des Bergdoktors zeigen wird.
Über Heftromanserien wie Jerry Cotton, Perry Rhodan, John Sinclair oder Maddrax ist im Laufe der Zeit oft geschrieben worden. Diese Titel gehören zu dem Bereich, der im Impressum der Bastei-Romane regelmäßig mit dem Begriff „Spannungsromane“ umschrieben wird.

Die Liste der Spannungsromane aus dem Impressum von John Sinclair 440 „Mein letzter Fall“ aus dem Jahr 1986 nennt: 
Jerry Cotton, Jerry Cotton 2. Auflage, Jerry Cotton Bestseller, Jerry Cotton 4. Auflage, Der Hexer, Professor Zamorra, John Sinclair, John Sinclair 2. Auflage, John Sinclair 3. Auflage, Tony Ballard, Wildwest-Roman, Western-Hit, Texas-Western, Mexiko-Western, Western-Bestseller, G. F. Unger – Western, Lassiter, Lassiter 2. Auflage, Lassiter 3. Auflage, Robert Ullmann – Western.
(20 Titel)

Im Jahre 2014 wurden folgende Titel genannt (Jerry Cotton 2. Auflage Band 2595 „Das falsche Opfer“): 
Jerry Cotton 1. Auflage, Jerry Cotton 2. Auflage, Jerry Cotton Classic, Professor Zamorra, Maddrax, John Sinclair, G. F. Unger, G. F. Unger Sonderedition, Jack Slade, Lassiter, Lassiter 3. Auflage, Captain Concho, Western Bestseller, Winchester. 
 (14 Titel)

Der Männer- (Spannungs-) und der Frauenbereich sind traditionell streng getrennt.  Zum Spannungsbereich gehören offensichtlich Krimi, Science Fiction, Horror und Western.

Die Bastei-Homepage nimmt eine Unterteilung in Themenwelten vor. Diese Themenwelten sind im Spannungsbereich die Abteilungen "Krimi & Action", "Western und Helden", "Grusel & Horror" sowie "SF und Fantasy". 
Im Frauenbereich findet man die Themenwelten "Adel & Liebe", "Ärzte & Schicksale" sowie "Heimat & Berge".
Unter "Ärzte & Schicksale" findet man die Titel "Dr. Stefan Frank", "Dr. Stefan Frank - seine dramatischten Fälle", "Notärztin Andrea Bergen", "Chefarzt Dr. Holl", "Der Notarzt" und "Dr. Karsten Fabian". Zu diesen sechs Titeln kommt aus der Themenwelt "Heimat und Berge" noch der Titel "Der Bergdoktor" hinzu. 
Die beiden Reihen "Dr. Stefan Frank" und "Der Bergdoktor" erscheinen am interessantesten. Beide Titel sind auch schon im Fernsehen aufgetaucht, "Der Bergdoktor" in mehreren Inkarnationen bei mehreren Sendern und "Dr. Stefan Frank" mit dem Untertitel "Der Arzt, dem die Frauen vertrauen" als RTL-Serie mit Sigmar Solbach in der Titelrolle.
Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Arztromanen müsste auf sehr viele aufeinanderfolgende, d.h. nicht willkürlich ausgewählte Romane zurückgreifen. Ferner müsste der bisherige Forschungsstand berücksichtigt werden, auf bisherige Veröffentlichungen und Ergebnisse zurückgegriffen werden, so es denn dergleichen gibt. Eine detaillierte Analyse der einzelnen Bände wäre selbstverständlich.

Hier geht es nur um einen kleinen Einblick in den Bereich Arztroman und es werden voraussichtlich drei Hefte ausführlich kommentiert.


Denkbare Kriterien sind:
  1. Macht der Vorspann (Rota-Seite) neugierig auf den Roman?
  2. Wird die Arbeit der Mediziner und deren Wirkung einigermaßen realistisch dargestellt?
  3. Wird die Arbeit des Pflegepersonals in die Handlung einbezogen?
  4. Was ist das Thema des Romans?
  5. Welche Personen sind die Hauptfiguren?
  6. Welche Erzählperspektive(n) wird/werden verwendet?
  7. Werden Stilmittel verwendet?
  8. Schlüssigkeit der Handlung?
  9. Schlüssigkeit des Endes?
  10. Bezugnahme auf vorhergehende Romane?
  11. Einbeziehung realer medizinischer Fakten (neuester Stand?)
  12. Gesamteindruck

Vorbemerkung:


Als ich im Wintersemester 1999/2000 an einem interdisziplinären Seminar über das Wissenschaftsverständnis der Medizin teilnahm, kam in einer der Sitzungen die Rede auf das Thema „Der Ärztliche Blick“. Unter diesem versteht man die Fähigkeit eines Mediziners, mit einem Blick festzustellen, was einem Patienten fehlt. Ich verglich das unter großer Zustimmung mit der Fähigkeit, beispielsweise im Tennissport bei einem geschlagenen Ball wissen zu können, ob dieser ins Aus gehen wird/würde oder nicht. Eine Fähigkeit, geboren aus der Erfahrung. Wobei der Ärztliche Blick, so er wirklich existiert, natürlich weitaus komplexer ist. Von den anwesenden Ärzten beanspruchte ihn niemand für sich, mein Vergleich fand aber große Anerkennung.

Hier liegt der seltene Fall vor, dass ein in der Realität möglicherweise vorkommendes Phänomen nicht literatur- oder fernsehtauglich ist. Ein Arzt, der sofort die richtige Diagnose stellt, wäre einerseits unglaubwürdig und andererseits würden die dramaturgischen Möglichkeiten gegen Null tendieren.

In jenem Seminar fiel häufig der Begriff „Ätiologie“, von dem wahrscheinlich noch zu reden sein wird.
Die Frage, wie heutige Serienärzte beschaffen sind, führt zunächst zum Medium Fernsehen. Hier hat sich seit den Zeiten der idyllischen "Schwarzwaldklinik" (80er Jahre) und Michael Baiers betulicher "Freunde für's Leben" (90er Jahre) einiges getan.

Der Bergdoktor (ZDF/ORF seit 2008)

Die Hauptfigur der Serie ist Dr. Martin Gruber, der nach fünfjähriger Abwesenheit aus den USA in sein Heimatdorf Ellmau (Tirol) zurückkehrt. Gruber hat sich umfangreiches Fachwissen und eine große Berufspraxis erworben. Im Mittelpunkt einer 90-Minuten Folge steht ein komplizierter medizinischer Fall, für den Hausarzt Dr. Gruber für gewöhnlich alles Andere stehen und liegen lässt. Ein medizinisches Rätsel wird mit Ausdauer, Recherche und unermüdlicher intellektueller Neugierde gelöst. Dem Protagonisten stehen die Einrichtungen eines Krankenhauses zur Verfügung, in dem seine bester Freund Dr. Alexander Kahnweiler eine leitende Position inne hat. Manchmal wird auf eine unorthodoxe Behandlungsmethode zurückgegriffen, meist helfen aber konventionelle Behandlungen, sobald die Krankheit erst einmal erkannt wurde. Dr. Gruber greift gelegentlich direkt in die Behandlung seiner Patienten im Krankenhaus ein und führt dort auch die eine oder andere Operation durch. Zuweilen muss er -das moderne Gesundheitssystem lässt grüßen- auf unkonventionelle Weise ein neues Medikament oder die Behandlung durch eine Koryphäe für seine Patienten "erschleichen", zuweilen hart am Rande der Legalität und darüber hinaus.

Nebenbei schildert die Serie im Stile einer Seifenoper das Familienleben der Grubers, zu denen noch die Mutter Lisbeth, Bruder Hans und Tochter Lilly gehören.

Trotz der Seifernopern-Elemente setzt der moderne TV-“Bergdoktor“ im Bereich der Darstellung und dramaturgischen Aufarbeitung ausgefallener Krankheiten und der dazugehörigen Behandlungsmethoden Maßstäbe. Es wird interessant sein, ob der Arztheftroman da mithalten kann, zumal es auf diesem Sektor auch eine Reihe mit dem Titel „Der Bergdoktor“ gibt.
Eine weitere Serie ist "In aller Freundschaft" (ARD/MDR, seit 1998), welche, ebenfalls in einer Mischung aus Arztserie und Seifenoper, Geschichten an einer fiktiven Leipziger Klinik zeigt. In jeder Folge spielen jeweils nur wenige Personen aus dem großen Ensemble mit, die Darsteller wechseln sich also ab. Die Serie hat mit "In aller Freundschaft - Die jungen Ärzte" im Jahre 2015 ein Spin-off erhalten. Die Qualität der Geschichten ist ähnlich wie beim Bergdoktor. Die Ärzte sind ähnlich allwissend wie ihr Tiroler Kollege vom ZDF. Auffallend ist, dass sie eine Vielzahl verschiedener Operationen an diversen Organen durchführen, was in der Realität von Ärzten nicht zu leisten ist. Eine realistische Darstellung der Spezialisierung wird der Dramaturgie geopfert.