Donnerstag, 11. Dezember 2014

Dienst nach Vorschrift zum „kleinen“ Jubiläum: John Sinclair 1900

Die Geschichte ist sattsam bekannt: Im Jahr 1973 schrieb der Autor Helmut Rellergerd alias Jason Dark den ersten Gespenster-Krimi und John Sinclair Roman „Die Nacht des Hexers“. Es folgten 49 weitere Bände des Gespenster-Krimi mit dem Protagonisten John Sinclair aus der Schreibmaschine Darks, ehe John Sinclair Anno 1978 mit „Im Nachtclub der Vampire“ seine eigene Serie erhielt. Zu Beginn noch gelegentlich von weiteren Autoren unterstützt, die insgesamt 55 Romane verfassten, schrieb Jason Dark die Serie über einen sehr langen Zeitraum allein. Seit Band 1851 erscheinen wieder John Sinclair Romane anderer Autoren. Im Dezember 2014 erreicht die Serie den Band 1900, und es wird wohl allgemein kaum bezweifelt, dass sie in zwei Jahren als vierter Dauerbrenner des Bereichs Männerroman nach Jerry Cotton, Perry Rhodan und Lassiter den 2000. Band erreichen wird. Derzeit befindet sich die Serie aufgrund der massiven Beteiligung neuer Autoren im Umbruch.
Mein erster Sinclair, „Die Menschenfalle“, wurde mir Anno 1981 leihweise in die Hand gedrückt, seither habe ich immer mal wieder hineingelesen, intensiv und regelmäßig aber nur zu Beginn der Neunziger Jahre bei den 600er und 700er Bänden. Die seit dem Jahr 2000 erschienenen Hörspielserien habe ich regelmäßig verfolgt.
Nun also liegt Band 1900 vor, verfasst von Jason Dark. Nutzt der Altmeister die Gelegenheit, zum Jubiläum einen Paukenschlag zu setzen? Der Titel „Fegefeuer“ ist zumindest vielversprechend. Oder macht er Dienst nach Vorschrift? Letzteres trifft zu.

John Sinclair wird von Sir James gebeten, bei dessen Clubfreund Walter Wetford nach dem Rechten zu sehen. Wetfords Frau Alma hat sich an Sir James gewandt, da sie Zeuge wurde, wie ihr Mann in einem offenkundig magischen Feuer brannte. Bei seinen Nachforschungen wird John Sinclair zu einem Duell mit einem gewissen Lazarus Cole gezwungen.

Jemand hat mir mal über das Fach Philosophie gesagt, Philosophie erfordere die Fähigkeit zum Staunen. Ich habe oft genug erlebt, dass diese Art Staunen nicht nur zu Erkenntnisgewinn führt, sondern auch großen Spaß machen kann.
Die Beschäftigung mit Phantastischer Literatur lädt natürlich auch zum Staunen ein. Zu einem Staunen, das von vornherein als lustvoll angelegt ist. Autor, erzähle mir etwas Ungewöhnliches, bringe mich zum Staunen.
Im landläufigen Sinne ungewöhnlich wird es erwartungsgemäß am Anfang von Sinclair 1900: Ein Mann liegt in seinem Bett und steht in Flammen, aber er verbrennt nicht. Seine Ehefrau ist Zeugin. Müsste man dergleichen in einer Fernsehserie inszenieren, wäre die Vorgehensweise klar: Eine schöne Effektaufnahme, ein gellender Schrei, Zoom auf das entsetzte Gesicht der Ehefrau, Abblende, Vorspann. (Bei allem Respekt vor Kai Maertens: Bitte jetzt nicht an den Vorspann der TV Serie „John Sinclair“ denken. Lieber an den von „True Blood“) Literatur hat andere Mittel. Beschreibungen und Dialoge. Die Beschreibung ist recht überzeugend. Wenngleich ein paar mal zu oft betont wird, wie ungewöhnlich das doch alles ist. Der auktoriale Erzähler dürfte das nicht, zumal nicht gegenüber Lesern, die schon etliche dieser Geschichten konsumiert haben. Der personale Erzähler darf das nicht nur, er muss das sogar (wenn auch nicht so oft wie hier), er schildert das Geschehen aus Sicht der Protagonistin, also der Ehefrau. Aber der Dialog?

"Walter..."
"Was ist?"
"Das frage ich dich. Was ist mit dir geschehen? Ich habe dich hier in deinem Bett gefunden, aber da hast du gebrannt und bist nicht verbrannt."
"Das weiß ich."
"Und warum ist das passiert? Warum hat dich das Feuer nicht verbrannt und von dir nur noch Asche übrig gelassen?"

Die Stimmung der Frau wird vorher gut angedeutet denn es heißt im Text"Sie musste sich räuspern und einige Male Luft holen, dann konnte sie reden." Leider reflektiert der Dialog diese Stimmung in keiner Weise. Den Ehepartner brennend vorzufinden dürfte zu einer geradezu existentiellen Urangst und zu einer völligen Erschütterung des vorhandenen Weltbilds führen. Aber wie wird hier darüber gesprochen? So wie über das Wetter oder das aktuelle Kinoprogramm. Mit derart hölzernen Dialogen wird leider viel Potential der Geschichte verschenkt.
Die Stilblüten, für die Jason Darks John Sinclair Romane bekannt sind, gibt es nach wie vor. Hier ein markantes Beispiel:

"Das tiefe Stöhnen. Nicht fortlaufend, sondern mit Unterbrechungen. Es kam ihr vor, als müsste Walter zwischendurch mal Luft holen, um weiter zu machen."

Da Stöhngeräusche gewöhnlich durch Ausatmen entstehen, ist das gelegentliche Einatmen zwischendurch doch nur natürlich und keineswegs seltsam. Diese Sätze sind völlig nichtssagend.
Das nicht wirklich ortsfremde Geräusch im Bett ihres Gemahls, welches die Ehefrau anlockt (die Eheleute haben getrennte Schlafzimmer) hat einen gewissen Subtext. Was treibt der Gemahl da wohl (und mit wem)? Der Autor schenkt dem Vorgang jedenfalls soviel dichterische Aufmerksamkeit, dass er ihm sogar eine eigenwillige Metapher widmet:

„Das Stöhnen war noch da. Sie empfand es als eine schlimme Musik, und sie hörte sich selbst schwer durch die Nase atmen.“

Ein jedenfalls potentiell pathologisches Geräusch als schlimme Musik, das hat etwas.
Auch manch andere Alltäglichkeit erhält eine gewisse literarische Erhöhung:

„Ich ging auf die Tür zu und machte kurzen Prozess, indem ich die Klinke nach unten drückte.“

Das regelmäßig wiederholte Bad im keinerlei Kombustionen hinterlassenden Fegefeuer hat auf Mr Wetford eine überraschende Wirkung: Es macht ihn unverwundbar. Leider scheut sich der Autor, diesen Umstand beim Namen zu nennen, stattdessen flüchtet er sich in blumige Umschreibungen.

„Sir James sprach davon, dass sich der Körper ihres Mannes verändert hat. Er ist stabiler geworden.“

oder auch:

„Die Veränderung ihres Körpers. Man kann durchaus von einer besonderen Härte sprechen.“

Es gibt noch andere Merkwürdigkeiten. Als Sinclair gegenüber Alex Wetford, dem Sohn Walters, bestätigt, dass Wetford Senior ihn niedergeschlagen hat, entspannt sich folgender Dialog:

„Jetzt kennen sie meine Eltern. Dazu gehört auch mein Vater. Ist er es gewesen, der sie niedergeschlagen hat?“
„Ja, so ist es gewesen.“
„He, das hätte ich dem Alten gar nicht zugetraut. Er ist schon ein harter Knochen. [...]“

Einmal abgesehen von dem ungemein scharfsinnigen Satz „Dazu gehört auch mein Vater.“: Welcher halbwegs vernünftige Mensch und mittelständische Unternehmer reagiert so auf die Nachricht, dass der eigene Vater gegenüber einem Polizeibeamten gewalttätig geworden ist?

Ein anderer Punkt ist das merkwürdige Verhalten von Sir James. Im Dialog zwischen John Sinclair und Walter Wetford offenbart dieser, warum der den Namen John Sinclair kennt:

„Egal, aber wenn Sir James redet, dann sind es spannende Geschichten und dann fällt auch hin und wieder der eine oder andere Name. Jetzt weiß ich auch, woher ich den Namen John Sinclair kenne. Sir James hat ihn schon einige Male erwähnt.“

Kann ein hochrangiger Yard-Beamter wirklich in seinem Club über spannende Fälle plaudern? Insbesondere hinsichtlich des Themas John Sinclair, dessen ungewöhnliche Fälle eher jenseits der öffentlichen Wahrnehmung liegen (sollten), erscheint das wenig plausibel.

Der Sieg über den Bösewicht Lazarus Cole gestaltet sich denkbar unspektakulär.

Zeitweise die Erzählstruktur alter James Bond Filme imitierend (Geplauder mit der Sekretärin, Einsatzbesprechung beim Chef, sogar die Vorstellung mit „Sinclair. John Sinclair.“) gelingt dem Autor ein leidlich unterhaltsamer durchschnittlicher Sinclair Roman mit den bekannten stilistischen Schwächen. Von einem würdigen Jubiläumsband ist das Werk jedoch weit entfernt, zumal selbst das spektakuläre Thema zu guter Letzt noch unnötigerweise relativiert wird.

Zum Abschluss noch eine markante Stilblüte:

"Ich nickte nur. Bei Küchen kannte ich mich aus. Ich hatte dort schon Vorfälle erlebt, die positiv waren, aber auch ins Negative rutschten. So hatte es in Küchen schon brutale Vorfälle gegeben, bis hin zu brutalen Morden."

Was soll man dazu sagen? Das ist nicht falsch, das ist nicht schlecht, das ist nicht blöd, das ist nicht satirisch (gemeint), das ist einfach... Sinclair.

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