Die Geschichte ist sattsam bekannt: Im
Jahr 1973 schrieb der Autor Helmut Rellergerd alias Jason Dark den
ersten Gespenster-Krimi und John Sinclair Roman „Die Nacht des
Hexers“. Es folgten 49 weitere Bände des Gespenster-Krimi mit dem
Protagonisten John Sinclair aus der Schreibmaschine Darks, ehe John
Sinclair Anno 1978 mit „Im Nachtclub der Vampire“ seine eigene
Serie erhielt. Zu Beginn noch gelegentlich von weiteren Autoren
unterstützt, die insgesamt 55 Romane verfassten, schrieb Jason Dark
die Serie über einen sehr langen Zeitraum allein. Seit Band 1851
erscheinen wieder John Sinclair Romane anderer Autoren. Im Dezember
2014 erreicht die Serie den Band 1900, und es wird wohl allgemein
kaum bezweifelt, dass sie in zwei Jahren als vierter Dauerbrenner des
Bereichs Männerroman nach Jerry Cotton, Perry Rhodan und Lassiter
den 2000. Band erreichen wird. Derzeit befindet sich die Serie
aufgrund der massiven Beteiligung neuer Autoren im Umbruch.
Mein erster Sinclair, „Die
Menschenfalle“, wurde mir Anno 1981 leihweise in die Hand gedrückt,
seither habe ich immer mal wieder hineingelesen, intensiv und
regelmäßig aber nur zu Beginn der Neunziger Jahre bei den 600er und
700er Bänden. Die seit dem Jahr 2000 erschienenen Hörspielserien
habe ich regelmäßig verfolgt.
Nun also liegt Band 1900 vor, verfasst
von Jason Dark. Nutzt der Altmeister die Gelegenheit, zum Jubiläum
einen Paukenschlag zu setzen? Der Titel „Fegefeuer“ ist zumindest
vielversprechend. Oder macht er Dienst nach Vorschrift? Letzteres
trifft zu.
John Sinclair wird von Sir James
gebeten, bei dessen Clubfreund Walter Wetford nach dem Rechten zu
sehen. Wetfords Frau Alma hat sich an Sir James gewandt, da sie Zeuge
wurde, wie ihr Mann in einem offenkundig magischen Feuer brannte. Bei
seinen Nachforschungen wird John Sinclair zu einem Duell mit einem
gewissen Lazarus Cole gezwungen.
Jemand hat mir mal über das Fach
Philosophie gesagt, Philosophie erfordere die Fähigkeit zum Staunen.
Ich habe oft genug erlebt, dass diese Art Staunen nicht nur zu
Erkenntnisgewinn führt, sondern auch großen Spaß machen kann.
Die Beschäftigung mit Phantastischer
Literatur lädt natürlich auch zum Staunen ein. Zu einem Staunen,
das von vornherein als lustvoll angelegt ist. Autor, erzähle mir
etwas Ungewöhnliches, bringe mich zum Staunen.
Im landläufigen Sinne ungewöhnlich
wird es erwartungsgemäß am Anfang von Sinclair 1900: Ein Mann liegt
in seinem Bett und steht in Flammen, aber er verbrennt nicht. Seine
Ehefrau ist Zeugin. Müsste man dergleichen in einer Fernsehserie
inszenieren, wäre die Vorgehensweise klar: Eine schöne
Effektaufnahme, ein gellender Schrei, Zoom auf das entsetzte Gesicht
der Ehefrau, Abblende, Vorspann. (Bei allem Respekt vor Kai Maertens:
Bitte jetzt nicht an den Vorspann der TV Serie „John Sinclair“
denken. Lieber an den von „True Blood“) Literatur hat andere
Mittel. Beschreibungen und Dialoge. Die Beschreibung ist recht
überzeugend. Wenngleich ein paar mal zu oft betont wird, wie
ungewöhnlich das doch alles ist. Der auktoriale Erzähler dürfte
das nicht, zumal nicht gegenüber Lesern, die schon etliche dieser
Geschichten konsumiert haben. Der personale Erzähler darf das nicht
nur, er muss das sogar (wenn auch nicht so oft wie hier), er
schildert das Geschehen aus Sicht der Protagonistin, also der
Ehefrau. Aber der Dialog?
"Walter..."
"Was ist?"
"Das frage ich dich. Was ist mit
dir geschehen? Ich habe dich hier in deinem Bett gefunden, aber da
hast du gebrannt und bist nicht verbrannt."
"Das weiß ich."
"Und warum ist das passiert? Warum
hat dich das Feuer nicht verbrannt und von dir nur noch Asche übrig
gelassen?"
Die Stimmung der Frau wird vorher gut
angedeutet denn es heißt im Text"Sie musste sich räuspern und
einige Male Luft holen, dann konnte sie reden." Leider
reflektiert der Dialog diese Stimmung in keiner Weise. Den Ehepartner
brennend vorzufinden dürfte zu einer geradezu existentiellen Urangst
und zu einer völligen Erschütterung des vorhandenen Weltbilds
führen. Aber wie wird hier darüber gesprochen? So wie über das
Wetter oder das aktuelle Kinoprogramm. Mit derart hölzernen Dialogen
wird leider viel Potential der Geschichte verschenkt.
Die Stilblüten, für die Jason Darks
John Sinclair Romane bekannt sind, gibt es nach wie vor. Hier ein
markantes Beispiel:
"Das tiefe Stöhnen. Nicht
fortlaufend, sondern mit Unterbrechungen. Es kam ihr vor, als müsste
Walter zwischendurch mal Luft holen, um weiter zu machen."
Da Stöhngeräusche gewöhnlich durch
Ausatmen entstehen, ist das gelegentliche Einatmen zwischendurch doch
nur natürlich und keineswegs seltsam. Diese Sätze sind völlig
nichtssagend.
Das nicht wirklich ortsfremde Geräusch
im Bett ihres Gemahls, welches die Ehefrau anlockt (die Eheleute
haben getrennte Schlafzimmer) hat einen gewissen Subtext. Was treibt
der Gemahl da wohl (und mit wem)? Der Autor schenkt dem Vorgang
jedenfalls soviel dichterische Aufmerksamkeit, dass er ihm sogar eine
eigenwillige Metapher widmet:
„Das Stöhnen war noch da. Sie
empfand es als eine schlimme Musik, und sie hörte sich selbst schwer
durch die Nase atmen.“
Ein jedenfalls potentiell
pathologisches Geräusch als schlimme Musik, das hat etwas.
Auch manch andere Alltäglichkeit
erhält eine gewisse literarische Erhöhung:
„Ich ging auf die Tür zu und machte
kurzen Prozess, indem ich die Klinke nach unten drückte.“
Das regelmäßig wiederholte Bad im
keinerlei Kombustionen hinterlassenden Fegefeuer hat auf Mr Wetford
eine überraschende Wirkung: Es macht ihn unverwundbar. Leider scheut
sich der Autor, diesen Umstand beim Namen zu nennen, stattdessen
flüchtet er sich in blumige Umschreibungen.
„Sir James sprach davon, dass sich
der Körper ihres Mannes verändert hat. Er ist stabiler geworden.“
oder auch:
„Die Veränderung ihres Körpers. Man
kann durchaus von einer besonderen Härte sprechen.“
Es gibt noch andere Merkwürdigkeiten.
Als Sinclair gegenüber Alex Wetford, dem Sohn Walters, bestätigt,
dass Wetford Senior ihn niedergeschlagen hat, entspannt sich
folgender Dialog:
„Jetzt kennen sie meine Eltern. Dazu
gehört auch mein Vater. Ist er es gewesen, der sie niedergeschlagen
hat?“
„Ja, so ist es gewesen.“
„He, das hätte ich dem Alten gar
nicht zugetraut. Er ist schon ein harter Knochen. [...]“
Einmal abgesehen von dem ungemein
scharfsinnigen Satz „Dazu gehört auch mein Vater.“: Welcher
halbwegs vernünftige Mensch und mittelständische Unternehmer
reagiert so auf die Nachricht, dass der eigene Vater gegenüber einem
Polizeibeamten gewalttätig geworden ist?
Ein anderer Punkt ist das merkwürdige
Verhalten von Sir James. Im Dialog zwischen John Sinclair und Walter
Wetford offenbart dieser, warum der den Namen John Sinclair kennt:
„Egal, aber wenn Sir James redet,
dann sind es spannende Geschichten und dann fällt auch hin und
wieder der eine oder andere Name. Jetzt weiß ich auch, woher ich den
Namen John Sinclair kenne. Sir James hat ihn schon einige Male
erwähnt.“
Kann ein hochrangiger Yard-Beamter
wirklich in seinem Club über spannende Fälle plaudern? Insbesondere
hinsichtlich des Themas John Sinclair, dessen ungewöhnliche Fälle
eher jenseits der öffentlichen Wahrnehmung liegen (sollten),
erscheint das wenig plausibel.
Der Sieg über den Bösewicht Lazarus
Cole gestaltet sich denkbar unspektakulär.
Zeitweise die Erzählstruktur alter
James Bond Filme imitierend (Geplauder mit der Sekretärin,
Einsatzbesprechung beim Chef, sogar die Vorstellung mit „Sinclair.
John Sinclair.“) gelingt dem Autor ein leidlich unterhaltsamer
durchschnittlicher Sinclair Roman mit den bekannten stilistischen
Schwächen. Von einem würdigen Jubiläumsband ist das Werk jedoch
weit entfernt, zumal selbst das spektakuläre Thema zu guter Letzt
noch unnötigerweise relativiert wird.
Zum Abschluss noch eine markante
Stilblüte:
"Ich nickte nur. Bei Küchen
kannte ich mich aus. Ich hatte dort schon Vorfälle erlebt, die
positiv waren, aber auch ins Negative rutschten. So hatte es in
Küchen schon brutale Vorfälle gegeben, bis hin zu brutalen Morden."
Was soll man dazu sagen? Das ist nicht
falsch, das ist nicht schlecht, das ist nicht blöd, das ist nicht
satirisch (gemeint), das ist einfach... Sinclair.
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